Mit Beginn des neuen Schuljahres 2025/26 am 14.8.25 bietet die Oberschule am Waller Ring in Bremen ein deutschlandweit einzigartiges Angebot – das Oberstufenprofil »Digitale Medizin«. Entwickelt wurde es in enger Kooperation zwischen der gymnasialen Oberstufe der Schule und dem Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS. Ziel ist es, Jugendliche frühzeitig für die Schlüsseltechnologien der modernen Medizin zu begeistern und zu zeigen, welche Rolle Mathematik, Informatik, Biologie und Psychologie dabei spielen.
»Mit dem neuen Profil machen wir Jugendlichen ein Angebot, das sie in dieser Form sonst nirgendwo finden«, sagt Jan Wicke, Abteilungsleiter der gymnasialen Oberstufe. »Wir wollten nicht nur lokal, sondern in der ganzen Stadt Interesse wecken – und das ist gelungen: Wir starten mit 24 Anmeldungen aus neun verschiedenen Schulen in ganz Bremen.«
Das Profil umfasst die Fächer Biologie, Mathematik, Informatik und Psychologie und schafft Raum für fächerübergreifende Projekte. In verschiedenen Unterrichtsmodulen lernen die Jugendlichen digitale Werkzeuge kennen, wie sie heute oder auch künftig in der Medizin eingesetzt werden: vom KI-gestützten Erkennen von Tumoren in Bilddaten über eine Software zur Therapieplanung bis hin zu Simulationen medizinischer Prozesse. Niedrigschwellige Tools ermöglichen den Einstieg ohne Vorkenntnisse, weiterführende Aufgaben beziehen komplexe mathematisch-technische Aspekte mit ein.
Den roten Faden im Profil bildet eine fächerübergreifende Geschichte, die den Alltag in der medizinischen Praxis widerspiegelt. Sie begleitet eine Patientin vom ersten Arztbesuch über die Diagnose eines Tumors bis zur Therapieplanung und Nachsorge aus Sicht der Ärztin. Anhand dieser Handlung lassen sich Inhalte aus Biologie, Mathematik, Informatik und Psychologie miteinander verbinden. So wird beispielsweise in Mathematik der Themenbereich »Wahrscheinlichkeit und Statistik« mit typischen Herausforderungen verknüpft, die sich bei der Krebsdiagnose mittels Röntgenbildern ergeben. Und in der Psychologie geht es unter anderem darum, welche Emotionen im Spiel sind, wenn eine Patientin einen unklaren Befund erhält.
Um den roten Faden beizubehalten, werden alle Lehrkräfte regelmäßig Bezüge zur übergreifenden Geschichte herstellen. »Wir haben einen verbindlichen Stundenplan-Abgleich und festgelegte Unterrichtseinheiten, in denen die Fächer gezielt anknüpfen«, erklärt Wicke. Das Konzept soll eine enge Abstimmung zwischen den Lehrkräften gewährleisten und dadurch für die Schüler:innen spürbar machen, wie der jeweilige Unterrichtsstoff mit der übergreifenden Geschichte zusammenhängt – und damit mit dem medizinischen Praxisalltag.
Fraunhofer MEVIS ist dabei fest in den Unterricht eingebunden – mit Workshops im Institut, digital zugeschalteten Expert:innen (»Zoom Jumps«) sowie der gemeinsamen Entwicklung von Unterrichtsmodulen. »Die Schüler:innen würden gern regelmäßig in unser Institut kommen – und wir versuchen, ihnen das zu ermöglichen«, so Bianka Hofmann, Leiterin Wissenschaftsengagement bei MEVIS. Beispielsweise können die Jugendlichen mit sogenannten Low-Field-Scannern selbst Bilder aufnehmen und analysieren – eine wertvolle und praxisnahe Hands-on-Erfahrung.
Im vergangenen Schuljahr wurden ausgewählte Module bereits in einem Probelauf an der Oberschule Walle getestet. Zwar hatten die Jugendlichen das Profil nicht gezielt gewählt. Dennoch weckten die Themen Neugier – selbst bei jenen, die sich Mathematik oder Informatik nicht unbedingt zutrauen. »Wenn wir KI-Beispiele praxisnah einbetten, steigt die Bereitschaft, sich darauf einzulassen«, berichtet Jan Wicke. »Damit lässt sich dann auch die oft gestellte Frage, wofür Mathe überhaupt gut ist, konkret beantworten.«
Die Umsetzung des Profils wird vom BMFTR-Teilprojekt »#MOIN Campus-Nachbarschaft Sichtbarkeit« unterstützt, das einen Fokus auf die Mathematik fördert. »Mathematik ist für viele ein Knackpunkt«, sagt Hofmann. »Hier können wir zeigen, wie zentral sie in der Medizin ist – und wie spannend, wenn man sie in einen realen Kontext stellt.«
»Für uns Forschende ist das neue Profil ein spannender Versuchsballon – nicht nur inhaltlich, sondern auch strategisch« betont Matthias Günther, stellvertretender Leiter von Fraunhofer MEVIS. Denn damit erhält das Institut eine andere Form von Sichtbarkeit in der Region, die nicht primär über wissenschaftliche Veröffentlichungen oder Fachkonferenzen läuft, sondern über konkrete Berührungspunkte mit jungen Menschen und deren Familien. »Über die Schüler:innen erreichen wir auch die Eltern und erhöhen so unsere Präsenz in Bremen«, so Günther. »Zudem intensivieren wir mit dieser Initiative unsere Kommunikation mit der Bildungsbehörde.«
Besonders schätzt er die nachhaltige Vernetzung, die durch das Profil geschaffen wird: »Es ist nicht ein einmaliges Event, sondern eine kontinuierliche Zusammenarbeit über mehrere Jahre.« Auch intern hat das Projekt Wirkung: MEVIS-Mitarbeitende, die Unterrichtsmodule entwickeln oder Workshops geben, erleben ihre Arbeit aus einer neuen Perspektive. »Wir müssen unsere Themen so aufbereiten, dass sie für Lernende ohne Vorkenntnisse zugänglich sind – und spüren dabei die Begeisterung, wenn das Interesse überspringt«, so Günther. »Diese Rückmeldung ist für viele von uns eine echte Bereicherung.«
Mit dem offiziellen Start des Oberstufenprofils »Digitale Medizin« beginnt nun erstmals ein Jahrgang, der sich gezielt für diesen Schwerpunkt entschieden hat und dafür teils lange Schulwege in Kauf nimmt. »Das ist für uns Ansporn und Verantwortung zugleich«, meint Jan Wicke. »Und vielleicht können wir bei einigen den Funken zünden, sich auch beruflich in diese Richtung zu orientieren.«